"Viele Telekommunikationsunternehmen hoffen auf etwas weniger Zwang zur Netzneutralität, viele Netzaktivisten befürchten genau das. Die Stanford-Professorin Barbara van Schewick hat deren Sorgen in diesem Artikel zusammengefasst:
- Der Entwurf der Verordnung erlaubt Internetprovidern die Einrichtung von "Überholspuren" im Netz, für sogenannte Spezialdienste. In der deutschen Fassung des Entwurfs heißen sie "andere Dienste, die keine Internetzugangsdienste sind" und "die für bestimmte Inhalte, Anwendungen oder Dienste (...) optimiert sind (...)". Die EU-Kommission hatte als Beispiele immer wieder Internetdienste für selbstfahrende Autos oder die Telemedizin genannt – Autohersteller und Krankenhäuser haben jedoch kein Interesse, für eine Überholspur im Netz zu bezahlen. Manche Internetprovider würden hingegen gerne hochauflösende Videos oder Onlinespiele zu Spezialdiensten deklarieren, für deren Bereitstellung die Endkunden extra zahlen müssten.
- Der Entwurf verbietet das sogenannte Zero-Rating nicht ausdrücklich. Anbieter von Internetinhalten, etwa von Streamingdiensten, können dabei mit Providern aushandeln, dass ihre Inhalte nicht auf das monatliche Datenvolumen der Kunden angerechnet werden. Dadurch werden Inhalte, die sich dieses Privileg erkaufen können, attraktiver als solche, die sich das nicht leisten können.
- Der Entwurf erlaubt es Providern, sogenannte Datenverkehrskategorien einzuführen und unter bestimmten Voraussetzungen unterschiedlich zu behandeln. Filesharing zum Beispiel könnte in eine andere Kategorie eingeordnet werden als Videos oder E-Mails. Auch verschlüsselte Daten könnten eine eigene Kategorie bilden, weil man aus ihnen nicht ohne Weiteres ablesen kann, welche Inhalte sie transportieren. Kritiker wie van Schewick befürchten, Provider könnten – absichtlich oder nicht – bestimmte Kategorien diskriminieren.
- Um "eine drohende Netzüberlastung" zu verhindern, dürfen die Provider einzelne Kategorien ausdrücklich blockieren, verlangsamen oder verändern. Eine wichtige Einschränkung immerhin gibt es: Sie dürfen das nicht "auf der Grundlage kommerzieller Erwägungen" tun. "
- Date Published:10/24/2015
- Original Publication:Zeit Online